Balkan Melodie
CH/ D/ BG 2012
Buch & Regie: Stefan Schwietert
Kamera: Pierre Mennel, Pio Corradi
Schnitt: Isabel Meier
92 min
eine Produktion von maximage, zero one film und Agitprop
in Koproduktion mit Bayerischer Rundfunk, Schweizer Radio und Fernsehen,
Television Suisse Romande, SRG SSR, Bulgarian National Television
mit finanzieller Unterstützung von Bundesamt für Kultur, Zürcher
Filmstiftung, Succes Cinéma, Succes Passage Antenne, MEDIA, Fachausschuss
Audiovision und Multimedia der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft,
Stipendium der Robert Bosch Stiftung, Entwicklungsbeitrag von Marco Forster,
National Film Center Bulgaria |
Der Zeitraum von Marcels Celliers Reisen nach Osteuropa zwischen 1950 und
1990 deckt sich beinahe mit der Dauer der kommunistischen Regimes in diesen
Ländern. Während meiner Recherchen in Rumänien und Bulgarien stiess ich
immer wieder auf die außergewöhnliche Rolle, welche der Staat für die
Entwicklung der traditionellen Musik in dieser Zeit spielte. Ein spannendes
Phänomen, von dem dieser Film zum ersten Mal erzählt.
In Westeuropa wurde der Volksmusik nach dem 2. Weltkrieg wenig Beachtung
geschenkt. Nach dem Missbrauch alles «völkischen» durch die
Nationalsozialisten war sie vor allem in gebildeten Kreisen in Misskredit
geraten. Und die Jugend wurde von der amerikanischen Musik überrollt.
Ganz anders hinter dem Eisernen Vorhang. Im Rahmen der Glorifizierung der
Arbeiter und Bauern nach der Revolution in der Sowjetunion wurde die
traditionelle Volksmusik auf die staatlichen Bühnen geholt. In den überall
neu entstandenen Kulturzentren traten die ehemals in kleinen Formationen
durchs Land reisenden Musiker nun als Angestellte des Staates in
Großorchestern auf. Allein in Rumänien gab es Tausende solcher Orchester.
Fabriken, Kolchosen, Universitäten, Ministerien, Armeeeinheiten ˆ alle
hatten ihr eigenes Ensemble. Mit eigens entworfenen Bühnenbildern und
Kostümen, sowie ausgefeilten Choreographien wurden regelrechte Folkloreshows
kreiert. Dabei sind zum Teil wilde Stilblüten entstanden, wie
Archivaufnahmen von damals zeigen.
Die Musik wurde vom kommunistischen Staat als Propagandainstrument für
eigene Zwecke missbraucht und hat so, herausgelöst aus ihrem ursprünglichen
Kontext, viel von ihrem authentischen Charakter verloren.
Gleichzeitig haben die traditionelle Musik und ihre Interpreten von der
Förderung durch den Staat auch profitiert. Den Musikern ging es gut.
Tagsüber hatten sie einen festen Job in den staatlichen Orchestern, abends
verdienten sie zusätzlich auf privaten Hochzeiten.
An Gymnasien und Musikhochschulen wurden Studiengänge für Volksmusik
eingeführt, wodurch sich das Niveau der Musik über die Jahrzehnte stark
verbesserte. Der Panflötenvirtuose Gheorghe Zamfir wurde zum Beispiel
bereits mit 14 Jahren am Liceul de Musica «Dinu Lipatti» und später am
Konservatorium von den besten Lehrern an seinem Instrument ausgebildet. In
der Westeuropa gibt es in den meisten Ländern erst seit wenigen Jahren
überhaupt einen Studiengang für Volksmusik an den Musikhochschulen.
Ein besonderer Glücksfall ist die Verbindung von traditioneller Musik und
Kommunismus im Falle der bulgarischen Frauenchöre. Inspiriert von der
Chorbewegung in der Sowjetunion rekrutierte der bulgarische Komponist Philip
Koutev mit Unterstützung der Partei in landesweiten Wettbewerben die besten
Sängerinnen. In Sofia schrieben junge bulgarische Komponisten, am
Konservatorium in Klassik und Neuer Musik ausgebildet, Arrangements für
diese Chöre. Aus den ursprünglich ein- oder zweistimmigen Gesängen
entstanden komplexe, mehrstimmige polyphone Werke ohne den ursprünglichen,
rauen und kehligen Charakter der Stimmen zu zerstören. Eine einmalige, nie
gehörte Musik zwischen Archaik und Avantgarde wurde so zu einem
Markenzeichen des Landes.
Ein weiterer Grund für den breiten Erhalt der traditionellen Musik in
Osteuropa bis zum Ende des Kommunismus, war die Abschottung dieser Länder
nach Aussen. Nach der Revolution haben die westlichen Einflüsse und der
Kapitalismus die Situation radikal verändert. Alte Bräuche und die eigene
Volksmusik verschwanden aus dem Alltag. Vor allem die Jungen wollten von
ihrer musikalischen Tradition nichts mehr wissen und wandten sich der
internationalen Popmusik zu. Heute sterben die alten Musiker langsam aus.
Von den jungen Musikern, vor allem aus den Balkanländern, ist es einigen
gelungen, die musikalischen Schätze ihres Landes den westlichen
Hörgewohnheiten anzupassen. Unter labels wie "Gypsy Pop", oder "Balkan Beat"
sind sie zu einem regelrechten Boom in unseren Ländern geworden. |